Mittwoch, 14. Oktober 2009

Маньяк, что-ли?!

Die Blogeinträge lassen auf sich warten, es tut mir leid – das liegt nicht an bloßer Faulheit, sondern vor allem an mangelnder Muse aufgrund von sprachlicher Überforderung und daraus resultierender Müdigkeit. Außerdem befürchte ich, vorschnelle Urteile zu fällen und habe immer noch das Gefühl, weiter abzuwarten zu müssen um nicht übereilig etwas zu behaupten, eine Begebenheit nur aus der westeuropäischen Sichtweise zu betrachten und nicht objektiv genug zu bewerten. Trotzdem will ich versuchen, in nächster Zeit häufiger was Neues hier rein zu schreiben. Also… An sich ist das Leben in Uralsk nicht gerade spannend, aber egal, ob Inga und ich hier den Tag über viel zu tun haben oder nicht, in meinem Kopf ist immer viel zu tun. Erfahrungen sortieren, Erlebnisse reflektieren, Ereignisse in Schubladen einsortieren, wieder herausholen und woanders hinstecken oder komplett in den Müll werfen.

Wir verbringen einen Großteil des Tages damit, Russisch zu sprechen, dem Unterricht zu folgen oder öfter zu – proguljat (schwänzen). Dann schlafen wir meistens oder treffen uns mit Freunden und Bekannten. Tagsüber kämpfen wir gegen den Schlaf, nachts um ihn. Es sind nur drei Stunden Zeitverschiebung, für den Eulentyp aber in die ungünstige Richtung – wenn sich also der Schlafrythmus schon in Deutschland immer weiter gegen zwei Uhr nachts schiebt, bedeutet das hier läppische 5 Uhr morgens. Natürlich bekommt man dann morgens um sieben den Allerwertesten nicht aus der Kiste, wenn man um Punkt acht Uhr an der Uni sein soll. Stattdessen dreht man sich um, stellt das Handy vier Mal auf „Schlummerfunktion“, stellt den Wecker schließlich aus und schafft es mit großer Mühe um elf aufzustehen um noch ein, zwei Stunden Restuni mitzubekommen. Danach Mittagessen – im „Uralochka“ (einem guten Café), in der „Stolovaja“ (widerlicher Mensafraß) oder leckeren Dürüm Döner im „Dönerium Park“ oder Shaurma (Art Dürüm Döner) beim „Express“.

Um drei Uhr der Sprachkurs, nur Inga und ich, was bedeutet dass man geistig anwesend sein muss, günstigerweise 90 Minuten. Was im schlafgewrungenen, schlafgemangelten Mittagstief ein Problem ist. Danach schleppt man sich heim, trinkt einen Instantcafé, schnüffelt derweil süchtig an der Kaffeedose und legt sich erstmal eine Stunde schlafen (man war ja schließlich schon länger nicht mehr im Bett!).

Irgendwann meldet sich meistens Cihangir und will was unternehmen – Tee trinken, Döner im „Dönerium Park“ essen, Spazieren gehen, Nasha Russia am Computer schauen, einen anderen russischen Film anschauen, den unendlichen Mafiafilm, der eigentlich eine Serie ist, (Banditskij Peterburg) anschauen und alle zehn Sekunden auf Stopp drücken, weil wir nix verstehen. Währenddessen hält er uns über sein „bisnes“ auf dem Laufenden, erzählt drei Geschichten – die meist von einem „ochen bogaty chelovek“ (sehr reichen Menschen) handeln – und fünf Anekdoten sowie drei absurde Begebenheiten aus seinem Leben. Dabei benutzt er fünfzehn Mal den Ausdruck „Manjak shto-li“, acht Mal „Durak shto-li“ und dreihundert Mal „ooochen“ (sehr) in Kombination mit „bogaty chelovek“ (der bereits erwähnte reiche Mensch) oder „umnyj chelovek“ (ein schlauer Mensch), der inogda (manchmal) auch ein ganz schön „hitry“ (listiger) chelovek sein kann. Es gibt immer viel zu erzählen aus seinem Leben in Kasachstan, das ooochen interesnyj, ooochen smeshno aber öfter mal auch ooochen abartig sein kann.
Irgendwann um Mitternacht herum trennen sich unsere Wege und wir kontaktieren unsere Basis in Deutschland. Danach ist es gewöhnlich mindestens ein Uhr und eigentlich hat man nicht das Gefühl, man müsste schlafen. Man WEISS ganz sicher, dass man schlafen müsste, denn wie soll der morgige Tag weniger verranzt werden als sämtliche Tage der bereits vergangenen Woche wenn man nicht sofort einschläft?

Wie einfach wäre die Umstellung, wenn man nicht nur einmal die Woche rechtzeitig schlafen gehen würde! So verranzen die Tage, im Heft und im Ordner ein geistiger Vokabelberg von 200 Metern, aber es ist viel zu anstrengend alles im Wörterbuch nachzuschlagen und das Internet funktioniert sowieso seit Tagen mal wieder nicht. Wozu die Mühe, irgendwann lernt man das Wort zufällig (leider passiert das nicht gerade oft und man vergisst es nach zwei Sekunden wieder wenn es nicht gerade ein so witziges Wort wie „pukat“ (pupsen) ist). Das Vokabelheft ruft, der Blog will gefüllt werden, aber das Gehirn will nach einem halben Russischtag nichts außer schlafen.

Spätestens im Februar wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich hier alles aufschreiben. Oder wenn Cihangir die Geschichten ausgehen… was wohl nie passieren wird. Man könnte jetzt leicht den Eindruck kommen, wir würden unsere Zeit nur mit Schlafen, Essen und türkisch geprägtem Russisch verschw…, äh, verbringen, aber dieser Eindruck täuscht durchaus! Wir haben uns trotz des Altersunterschieds mit vielen Studenten angefreundet, vor allem mit dem tretij (dritten) kurs und lieben obshatsja (treffen und quasseln) mit ihnen. Leider können wir uns die Hälfte der kasachischen Namen immer noch nicht merken… zum Thema Namen gibt es aber demnächst einen eigenen Eintrag.
In Ajnura, die wir über Couchsurfing kennengelernt haben, haben wir eine gleichaltrige Seelenverwandte gefunden. Mit ihr labern wir bis fünf Uhr morgens durch, tanzen zu ätzender Musik, lästern über engstirnige Leute und den manchmal abartigen Essensgeruch in unserer Wohnung, trinken zu viel Wodka... naja, einmal. Jetzt aus beeindruckenden Erfahrungen heraus lieber nur noch Bier.

Wir gehen auch mal ins Museum, besichtigen zusammen mit Alexander, einem Dozenten das "Museum des alten Uralsk", die Moschee (bisher eine von dreien) und die orthodoxe Kirche (bisher eine von fünf), gehen zu einem Vortrag ins Pushkin-Museum, gehen mit Vlad, einem anderen Dozenten, Schlittschuhlaufen, gehen auf die Erstsemester-Begrüßungsfeier, tanzen dort mit unseren "Klassenkameraden" aus dem Tretij kurs ab, und und und. Ist ja kein Wunder, dass da keine Zeit mehr zum Schreiben bleibt...


Daheim bei Alina (im rosa Schlafanzug). Erst mampfen und bisserl trinken, dann geht's los mit der Lieblingsbeschäftigung aller Kasachstaner: GULJAT - was entweder bedeutet, dass man studenlang durch die Stadt läuft und dabei pausenlos quasselt oder auch weggehen, in Cafés oder Klubs. Beim Spazierengehen lieben es vor allem die weiblichen Bewohner Kasachstans, sich bei jeder Gelegenheit in Pose zu werfen und tausend Fotos zu schießen - sehr zum Leidwesen von Inga und mir, denen es nach spätestens zehn Fotos schon zu anstrengend wird mit der Poserei.


Was tun wir gerade? Genau, guljat! Dabei tun wir was? Genau, posen! Hier vor einer Bank im sechsten Mikrorajon.



Traditionell westliches Vorglühen mit Ajnura. Hier sind übrigens Poster und Kommode in meinem Zimmer zu sehen!


Mit Alina und Irene in Darinsk - einem Pasjolka (Dorf) eine halbe Autostunde von Uralsk entfernt. Darinsk hat laut Angaben von Alina über 1000 Einwohner, allerdings keinen Eintrag bei Google Maps. Ich kann deshalb schändlicherweise keine genauen geographischen Angaben zu Darinsk machen, glaube aber es liegt nordöstlich von Uralsk. Zu Darinsk gibt es später aber auch nochmal einen separaten Eintrag!

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